Tiefschlag

Die #wirbleibenzuhause Kampagne ist ein Tiefschlag für die Gesundheit jedes Einzelnen. #bleibaktivzuhause oder #bewegedichzuhause, wäre wohl angemessener gewesen.

Der Mensch wird durch den Komfort der Wohlstandsgesellschaft ohnehin schon in die falsche Richtung konditioniert, nämlich zur Reduktion von Anstrengung, Reduktion von Kraft, Reduktion von Bewegungswinkel, von Ausdauer und besonders zur Reduktion der Bewegungsvielfalt. 

Wenn man sich in die Steinzeit zurückversetzen wollte, sähe man sich mit einem Alltag konfrontiert, der täglich eine Bewältigung von 12-17 km für die Nahrungssuche voraussetzte. Auf dieser Strecke müsste man gehen, springen, sich ducken, kriechen, klettern, etc. um an die Nahrung zu gelangen, aber auch um sich vor Raubtieren zu verstecken bzw. zu fliehen. Die Menge der aufgenommen Nahrung wäre unter diesen Umständen auch begrenzt. Schließlich müsste man das Gesammelte und Erjagte erst noch den ganzen Weg zurück zur Höhle schleppen.

Diesen Anforderungen gerecht werdend, haben also nur Menschen im Zuge der Evolution überlebt, die in der Lage waren, sich viel zu bewegen und wenig zu essen. 

In unserer heutigen Welt ist genau das Gegenteil der Fall: Wir müssen uns so gut wie gar nicht bewegen, um zu überleben. Ein fataler Verlust, der uns zum Übungsobjekt der Medizin gemacht hat. Unser Entwicklungsrückschritt ist die Grundlage für die moderne Medizin. Dabei ist Medizin auf Krankheiten angewiesen, um zu existieren. Medizin ist auf der Krankheitslehre (Pathologie) aufgebaut. Stellen Sie sich vor, Sie gehen ohne jede Beschwerde zum Ihrem Arzt/Ärztin und sagen “Mir geht es hervorragend! Ich habe keine Beschwerden!”. Mit zunehmender Modernisierung der Medizin, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Ihnen dann dafür eine geistige Störung attestiert würde. Das wiederum bescheinigt die Unfähigkeit der Medizin, mit der Gesundheit umzugehen. Das Feld der Gesundheitslehre (Salutologie) wird Ihren Sport- und Fitnessexperten kein Fremdwort sein.

 

Durch den Lockdown haben wir uns täglich drastisch weniger bewegen müssen. Wenn wir uns nicht bewegen (können), sitzen oder liegen wir. Dieses Herunterfahren der körperlichen Aktivität bedeutet auch, dass die Zellen unserer verschiedenen Körperorgane ebenfalls reduziert gefördert und gefordert werden. Wir simulieren dadurch eine verminderte Funktionsfähigkeit und folglich eine Fehlfunktion. Diese Fehlfunktion wird bei trivialen Belastungsspitzen bemerkbar, wie z.B. beim Auf- und Absteigen von Treppen, Verschieben von Möbiliar, beim Hinsetzen und Aufstehen, Griff ins oberste Regal, beim Heben von Kind oder Enkel. Der Gang zum Arzt und damit die Verordnung von noch mehr Ruhe und Entlastung sind die Konsequenz – ein Teufelskreis!

Was könnten wir dagegen tun? Mut zur Bewegung im Grenzbereich Ihrer Komfortzone!

Dieses Maß ist sehr individuell und verlangt eigentlich einfach nur die Rückkehr zur körperlichen Belastung vor dem Lockdown. Es müssen also nicht gleich die 12 – 17 km der Steinzeitmenschen sein. Sie müssen nicht durch die Straßen robben oder auf Laternen klettern, sollten Sie aber an einem Spielplatz vorbeikommen, nutzen Sie die Klettergelegenheit. Hängen Sie sich an eine Reckstange – das streckt Ihr Bindegewebe in Kombination mit der Greiffunktion. Wenn Sie die Wahl zwischen Fahrstuhl und Treppen haben, nehmen Sie die Treppen – dabei am besten 2 oder 3 Stufen gleichzeitig. Orientieren Sie sich am Gegenteil des Sitzens und Liegens: Strecken Sie sich in die Länge, überstrecken Sie Ihre Hüfte mit jedem Schritt.

Versuchen Sie mit jeder Bewegungs- und Trainingseinheit mehr zu leisten, als bei der vorherigen. Und wenn Sie Ihr Gewicht nur eine Wiederholung häufiger bewegt haben – das zählt!

Unsere Organe sind funktionell und über Enzyme miteinander verbunden. Sie sind von einander abhängig. Unsere Muskeln produzieren bei Beanspruchung so genannte Myokine und setzen diese frei. Diese sind elementar wichtig für die Funktion und Gesundheit der Bauchorgane, besonders für Leber und Bauchspeicheldrüse. 

Definieren Sie Ihr Bewusstsein für Gesundheit neu. Gehen Sie auf Fitnesseinrichtungen zu und lassen Sie sich leiten. Diese haben in der Regel gut ausgebildete Fitnessexperten. Werden Sie Mitglied in einem Verein und nutzen Sie das Sportangebot in Ihrer Region. 

Ihre Gesundheit wird es Ihnen danken!

Sehen Sie es nicht als guten Vorsatz, sondern als Notwendigkeit. Darüber hinaus bin ich überzeugt, dass ebenso wie die Gesundheit einer jeden Körperzelle die Gesundheit unseres Körpers ausmacht, tragen Sie mit Ihrer Gesundheit für die Gesundheit unserer Gesellschaft bei. 

Erwarten Sie Veränderung!

Muskelkater und kleinere Zerrungen sind die Art und Weise, wie sich Ihr Körper für die Aktivitätssteigerung bei Ihnen bedankt. Bleiben Sie sorglos. Funktionierende Systeme passen sich nun einmal an und Anpassung tut weh. Das gilt für alle Lebenslagen. Aber Krankheiten tun mehr weh und stellen das Gegenteil von Funktion dar. 

Unser Gastautor, Dr. Dr. med. Homayun Gharavi, ist niedergelassener Sportmediziner und Cheftrainer des VfL-Schwimmteams in Lüneburg.